Urlaub vor der Haustür: Der Zug der vielfältigen Möglichkeiten

„Keine Sorge, die Klimaanlage wird funktionieren“, versichert Meike Knop von der Tourismusförderung. Unserer Reiseleiterin zu den Schönheiten des Ennepe-Ruhr-Kreises möchte heute mit dem Zug fahren. Und da soll es in diesem Sommer mit den Temperaturen schon das eine oder andere Problem gegeben haben. Bald ist klar, warum sich Meike Knop so sicher ist, dass die Technik heute nicht versagt. Wir stehen im Eisenbahn-Museum Bochum-Dahlhausen kurz hinter der Kreisgrenze. Vor uns ein Schienenbus Baujahr 1960 - die Ruhrtal-Bahn. Damals gab es nur kleine Kippfenster, um zu lüften.

„Das richtige Verkehrsmittel für eine Reise in die Vergangenheit“, stellt unsere Reiseleiterin zufrieden fest. Heike Knop trifft Sönke Windelschmidt. Eigentlich ist der 46-Jährige selbstständiger Bauingenieur. An zwei Tagen in der Woche steuert er allerdings die Ruhrtal-Bahn von Bochum nach Hagen: „Einige gehen zum Fußball, wir fahren Eisenbahn“, lacht der Mülheimer. Drei Monate hat Windelschmidt sich dafür ausbilden lassen: „Normalerweise dauert es neun Monate, aber ich war bereits Zugführer und hatte deshalb eine kürzere Ausbildung.“

40.000 Fahrgäste pro Jahr

Gang einlegen - Gas geben: Die 42 Tonnen Leergewicht des Schienenbusses VT 98 setzen sich langsam in Bewegung. Rund 40.000 Fahrgäste befördert die Ruhrtal-Bahn pro Jahr, die Fahrräder oder auch Kanus, die sie mitnimmt, hat keiner gezählt. Sönke Windelschmidt schaut aus dem Fenster. „Ist es nicht schön hier?“, sagt der Lokführer und die Frage klingt wie eine Antwort. Der Schienenbus fährt mitten durch den Wald. Aus den Fenstern in Fahrtrichtung links ist die Ruhr zu sehen. Meist schimmert der Fluss durch das dichte Grün, manchmal hat die Mutter Natur auch eine Lücke gelassen und gibt den Blick auf das Gewässer ist frei. Wasservögel tummeln sich dort, Spaziergänger sind zu sehen, der eine oder andere sonnt sich am Ufer oder kommt im Boot ins Schwitzen.

Im ersten Wagen ist eine Reisegruppe schon guter Dinge. Die Männer, Frauen und Kinder freuen sich über die nostalgische Fahrt. Sie erwartet noch ein Schiff, das mit ihnen eine Runde auf dem Kemnader See dreht. Auf der „Kreuzfahrt“ gibt es ein Mittagessen und anschließend geht es zu den Ursprüngen des Bergbaus im Revier, der Zeche Nachtigall. Ein strammes Tagesprogramm.

Zug ist zwar alt, Technik aber auf dem Stand der Zeit

„Jeder Tag ist anders. Jeden Tag lerne ich neue Menschen kennen“, sagt Lokführer Windelschmidt. Da fahren Niederländer mit, die sich zu ihrer Reise an die Ruhr vielleicht noch die eine oder andere Übernachtung gönnen. Da sind aber auch viele Ausflügler aus der Nähe dabei, die sich einen abwechslungsreichen Tag machen. Die einen fahren nur wenige Stationen mit und haben ein konkretes Ziel: Die Burg Blankenstein, das Museum Henrichshütte oder das Haus Kemnade zum Beispiel. Den anderen reicht die Fahrt mit dem Oldtimer durch die schöne Landschaft.

Windelschmidt fährt die Strecke inzwischen schon seit fünf Jahren und kennt sie natürlich in- und auswendig. Und von einem Oldtimer auf Schienen redet er auch nicht gerne. Das sei nur die eine Seite des VT 98, einem von etwa 800 Schienenbussen, die einst in Deutschland auf Nebenstrecken verkehrte: „Das Fahrzeug ist auf dem neuesten Stand der Technik. Wir müssen alle Bedingungen erfüllen, die für moderne Züge aufgestellt wurden.“ Zum Beispiel gibt es eine automatische Bremse, wenn ein Signal überfahren wird oder der Lokführer nicht ständig seine Anwesenheit mit einem Tritt auf ein Pedal beweist.
Und doch ist manches anders als bei der modernen Bahn. Der Fahrkartenautomat ist ein Schaffner aus Fleisch und Blut. Und der Fahrplan ist nicht auf Hetze ausgelegt. „Da wollen noch einige mit“, ruft eine Frau dem Lokführer zu. Windelschmidt öffnet wieder die Türen. Dem 50 Jahre alten Schienenbus nimmt es niemand auf den Bahnsteigen übel, wenn er einmal fünf Minuten später kommt. Das wäre für manchen modernen ICE schließlich schon eine Bestleistung.

Quelle: Westfälische Rundschau, Lokalausgabe Schwelm, Gevelsberg, Ennepetal und Sprockhövel, Autor Klaus Bröking, 10.09.2010